Raum 1: Die Versailler Verhandlungen

Die Neuordnung Europas

Das Ende des Ersten Weltkriegs markierte zugleich den Untergang der großen Imperien als auch die Geburt neuer Nationalstaaten. Die alte Ordnung brach zusammen. Am 18. Januar 1919 begannen in Versailles die Verhandlungen um den neuen Grenzverlauf. Dies war eine Schicksalsfrage für den gemarterten deutschen Staat und vor allem die Bewohner der Grenzgebiete, deren Verbleib beim Altreich ungewiss war. Die Mächte der Triple Entente berieten sich über die Zukunft Deutschlands und ganz Europas. Der Staat Polen war 1916 erst vom deutschen und vom österreichischen Militärgouverneur proklamiert worden und sollte als Verbündeter gegen Russland kämpfen. Doch dazu kam es nicht – stattdessen nahm Polen später an den Verhandlungen auf Seite der Siegermächte teil und machte Forderungen gegen Deutschland geltend. Als die bisherigen Teilungsmächte 1918 den Krieg verloren hatten, erklärte sich Polen am 07. Oktober 1918 kurzerhand zum unabhängigen Staat unter Marshall Józef Piłsudski.(1)

Die Gebietsverluste Deutschlands im Osten, bedingt durch die Entstehung der neuen Staaten Polen, Litauen und der Tschechoslowakei. (Ersteller: Florian Paprotny)
Die Abstimmungsbezirke Ostpreußens, mitsamt den schon angeschlossenen westpreußischen Bezirken Marienburg, Stuhm, Rosenberg und Marienwerder. (Ersteller: Florian Paprotny)

VERSAILLER VERTRAG - ARTIKEL 87
Deutschland erkennt, wie die alliierten und assoziierten Mächte es bereits getan haben, die völlige Unabhängigkeit Polens an und verzichtet zugunsten Polens auf alle Rechte und Ansprüche auf das Gebiet, das begrenzt wird durch die Ostsee, die Ostgrenze Deutschlands, wie sie im Artikel 27 Teil II (Deutschlands Grenzen) des gegenwärtigen Vertrags festgesetzt ist, bis zu einem Punkte etwa 2 km von Lorzendorf, dann durch eine Linie bis zu dem von der Nordgrenze Oberschlesiens gebildeten spitzen Winkel etwa 3 km nordwestlich von Simmenau, dann durch die Grenze Oberschlesiens bis zu ihrem Treffpunkt mit der alten deutsch-russischen Grenze, dann durch diese Grenze bis zu ihrem Schnittpunkt mit der Memel, dann durch die Nordgrenze von Ostpreußen, wie sie im Artikel 28 des angeführten Teiles II festgelegt ist.
Keine Anwendung finden indes die Bestimmungen dieses Artikels auf die Gebiete Ostpreußens und der Freien Stadt Danzig, wie sie in dem bezeichneten Artikel 28 Teil II (Deutschlands Grenzen) und im Artikel 100 Abschnitt XI (Danzig) dieses Teils abgegrenzt sind.

Soweit die Grenzen Polens in dem gegenwärtigen Vertrag nicht näher festgelegt sind, werden sie von den alliierten und assoziierten Hauptmächten später bestimmt. (21)

Roman Dmowski, der den polnischen Nationaldemokraten vor dem Krieg vorgestanden hatte, nahm als Vertreter Polens an den Verhandlungen teil.(2)  Dmowski und die Nationaldemokarten vertraten die piastische Idee bzw. den polnischen Westgedanken, weshalb sie einen möglichst günstigen, westlichen Grenzverlauf durchzusetzen bemüht waren. So äußerte er auf den Versailler Verhandlungen seine Vorstellung von Polen, das die ganzen Provinzen Posen und Westpreußen, die ostpreußischen Provinzen Ermland und Masuren, ganz Oberschlesien, sowie auch einige niederschlesische und pommersche Kreise umfassen sollte. (3)  Dies entspricht in etwa den Grenzen des ersten polnischen Königreichs um 1000.(4)
Frankreich und England waren sich uneins über das Thema. Die französische Seite wollte ein möglichst schwaches Deutschland. Dennoch schaffte es Lloyd George, der Vertreter Englands, Plebiszite in den von Polen begehrten Gebieten durchzusetzen. So gab es in Allenstein, Marienwerder und später Oberschlesien Volksabstimmungen über den Verbleib des Gebietes bei Deutschland bzw. der Angliederung an Polen. Die Provinz Posen wurde von Polen schon vor dem Abschluss der Friedenverhandlungen besetzt, ebenso wie die böhmisch-mährischen Grenzgebiete von Tschechien.(5) Um Mähren und einen Teil Schlesiens entbrannte ein Streit zwischen Polen und Tschechien. Auf dem polnischen Staatsgebiet lebten 1921 2,2 Mio. Deutsche – das sind 7% der Gesamtpopulation.(6) In den Plebiszit-Gebieten übernahmen interalliierte Kommissionen provisorisch die Gewalt. Die deutsche Souveränität blieb jedoch weitgehend erhalten, mitsamt ihren Regierungsinstitutionen. Ferner stationierten die Alliierten auch Soldaten im Gebiet.

1. Mitglieder der interalliierten Kommission in Allenstein: Captain Bird (2. v. r.), Monsieur Douget (1. v. r.).(Archiv der Martin-Opitz-Bibliothek, ADMA 13066 Fasc. 7)
2. Mitglieder des deutschen Kommissariats in Allenstein (Ostpreußen). Von links nach rechts: Postrat Constantinus; Regierungs- und Baurat Ruge; Geheimer Regierungsrat von Jerin, Vertreter des Reichskanzlers; Regierungsrat Schütze; Hauptmann Thomas. (Archiv der Martin-Opitz-Bibliothek, ADMA 13066 Fasc. 7)
3. Marumo, Kommissar für Japan der interalliierten Kommission Allenstein. (Archiv der Martin-Opitz-Bibliothek, ADMA 13066 Fasc. 7)
4. Kommission des Abstimmungsgebiets Marienwerder (Westpreußen): Von links nach rechts: Sir Henry Dawson Beaumont, Kommissar für England; Exc. Angelo Pavia, Präsident der Kommission; Oberst Fernando Po, Kommandeur; Graf Renie de Cherisey, Kommissar für Frankreich; Setomatsu Kato, Kommissar für Japan. (Archiv der Martin-Opitz-Bibliothek, ADMA 13066 Fasc. 7)
5. Die interalliierte Kommission für Oberschlesien: 1. Kapt. Bouvard (Frankreich); 2. Kapt. Meira (Italien); 3. Lt. Konstantin (Frankreich); Kapt. Count de Salis (England); 5. Oberst Titburg (England) (Aus "DIE WOCHE: Bilder vom Tage", Nr. 36, 1919, Archiv der Martin-Opitz-Bibliothek, ADMA 13068 Fasc. 8)